25. April 2024, 6:07 Uhr

Bild einer großen und einer kleinen Injektionsspritze

Ein Besuch im Impfzentrum

Vor kurzem war ich im Impfzentrum der Stadt Köln. Obwohl ich als Journalist gehalten bin, offen zu arbeiten, habe ich aber in diesem Fall Abstand davon nehmen müssen, da das Presseamt der Stadt Köln mich massiv in meiner Arbeit einschränken möchte. So war ich also undercover unterwegs, ganz in der Tradition des Herrn Wallraff, dem auch niemand den journalistischen Status abspricht, weil sich sein Objekt des Meckerns stets gegen die „anderen“ wendet, zu denen man sich als Wallraffs Leser selten zugehörig fühlen soll. Allerdings musste ich mich auch nicht Unterschicht-TV-dramatisch „blackfacen“ oder „Ali“ nennen um ernst genommen zu werden.

 

Schon vor der Ankunft müssen Impflinge, so der medizinische Begriff, allerhand Papierkram bewältigen. Sage und schreibe 15 Seiten sind zu lesen, auszufüllen und zu unterschreiben.  Vorne drauf: ein fetter Barcode. Weil das so „modern“ wirkt?

Die Ankunft gestaltete sich gut organisiert. Selbst an eine Navigationsanweisung hatte man gedacht, wenn einem auch erst im Auto auffällt, daß man dafür mal eben eine eigene App installieren muss, aber sei’s drum, war halt gut gemeint und mitgedacht – soweit jedenfalls. Parkplätze und Verkehrsleitung waren dank sehr vieler Helfer gut organisiert. Die Menschen – es handelte sich ja noch weitgehend um sehr alte Menschen, Ärzte und Pflegepersonal – sind ruhig, vielleicht ein wenig nervös und kaum auf Krawall gebürstet. Beim Einlass wird jeder mit einem Thermometer aus dem Baumarkt auf Fieber geprüft, was dem einen oder anderen aus der Pflege wohl ein mildes Lächeln abringt – diese Geräte sind wohl eher nicht für die Feinheiten der menschlichen Körpertemperatur geeignet.

Pandemie, Steuererklärung, Big data ?

Bei der anschließenden Kontrolle des Papierbergs, der zusätzlich zum Impfpass und Personalausweis vozuzeigen ist, fiel auf, daß doppelseitig ausgedruckte Vordrucke zum Papiersparen geeignet sind, aber nicht akzeptiert wurden – und damit fängt der bürokratische Aufwand auch an. Man hatte zwar mitgedacht und bot Ersatzformulare an, aber es dauerte eben, diese an den bereitstehenden Tischen auszufüllen, auch, weil die von vielen in Anspruch genommen werden mussten, wenn irgendwas auf den vielen Seiten nicht stimmte – viel Papier kann eben auch mehr Fehler enthalten. Einigen weniger verwaltungstechnisch Erfahrenen stand das schon ins Gesicht geschrieben: ein Aufwand wie bei der Steuererklärung, es gab leichte erregte Wortwechsel schon am Eingang. Bei den durchschnittlich 1800 Impflingen entstehen so pro Tag 27000 Blatt Papier (135kg), über den gesamten bisherigen Zeitraum also mindestens 756.000 Schreibmaschinenseiten, dazu kommt eine unbekannte Zahl an Korrekturformularen. Überschlägig sind das bis zum heutigen Tag 3,8 Tonnen Papier. Man hat sehr viel Zeit, sowas auszurechnen, wenn man dort wartet,

Anschließend durfte man in einer der Wartezonen mit jeweils 11 anderen Impflingen warten. Die Stimmung war je nach Charakter phlegmatisch bis angespannt, einige wippten nervös mit den Füßen, jemand wollte bitte vorgelassen werde, weil er irgendeinen wichtigen Grund hat, die Kinder oder ein Termin, die vom Impfzentrum angegebenen Zeiträume sind kaum einzuhalten, weil alles so elend lange dauert. Die Hilfskräfte blieben gelassen. Überall hängen Plakate, wie die mitgebrachten Papiere zu ordnen sind. Hier ist man im Paradies des öffentlichen Dienstes, so stellt man sich Revolutionen in Deutschland vor.

Einschub: Der erwähnte Barcode ist ein einfacher Link, der nach dem Scannen auf die Seite des Impfsystems der Stadt Köln führt und ist damit für jeden über das Internet erreichbar. Im Link ist auch die ID-Nummer des Impflings enthalten, aber das ganze ist nicht für die Impflinge gedacht. Mit einem schlichten Benutzernamen und Passwort hat man dort möglicherweise Zugang zu allen Impfdaten des Systems. Man kann sich vorstellen, daß das bei der Vielzahl der Mitarbeiter im Impfzentrum keine besonders große Hürde darstellt, aus meiner Erfahrung liegen irgendwo Notizen damit herum. Warum das System über das Internet erreichbar sein muss ?
Keine Ahnung. Vielleicht auch ein Grund, warum die Stadt Köln meine Fragen nicht beantworten möchte, aber ich würde mich nicht besonders wundern, wenn das in Kürze in einem Artikel aus der Amsterdamer Strasse harmlos erklärt wird.

Die Ordner sind sämtlich sehr freundlich. Auf die Frage, ob sie denn selbst geimpft seien, antworten sie nicht – sie dürfen es nicht, „Anordnung von oben“. Als man frei sprechen kann, nachdem man sich wie an einer Hausecke in der DDR umgeschaut hat, wird mir gesagt, daß es unverantwortlich sei, wenn man das Kontaktpersonal bei dieser Menge an Publikumskontakt nicht geimpft hätte. Erscheint logisch – warum macht man dann da so ein angeordnetes Staatsgeheimnis drum? Es scheint der Stadtleitung irgendwie peinlich zu sein, hat man denn was zu verbergen?

Von der Wartezone in die Wartezone

Nach der Wartezeit in der ersten Zone wurden dei Impflinge nebst Begleitern in die zweite Zone geführt, die unmittelbar vor den „Abfertigungshäuschen“ sind, in denen die Papiere zum zweiten Mal geprüft werden Die kann man sich genauso vorstellen wie die Passkontrolle am Flughafen. An dieser Stelle sei angemerkt, daß zwar kein ausgeschildertes Fotografierverbot herrschte, ich hielt das aber aus Datenschutz- und Persönlichkeitsrechtsgründen auch nicht für angebracht und zu gefährlich.

Diese Abfertigungsstellen waren dann zu ungefähr 2/3 besetzt. Und dort fing der Beamtendreikampf an: Knicken, lochen, abheften.  Allein der Abgleich zwischen der Personendaten hatte die Geschwindigkeit einer Einreise nach Nordkorea, wenn auch freundlicher. Mehrfach wurden die Papiere neu sortiert, geheftet und dann – Tadaa – endlich mal der wunderbare Barcode gescannt. Was so ziemlich gar nichts vereinfachte, außer daß auf dem Handy des Kontrolleurs ein grüner Haken erschien.
So ein grüner Haken ist immer beruhigend. Nach geschlagen 5 Minuten bürokratischer Leichtathletik, wovon gefühlt allein 1 Minute des Starrens auf einen gut lesbaren Personalausweis entfiel (wohlgemerkt nur auf dessen Vorderseite und ohne Abgleich des Bildes mit der vor ihr stehenden Person) wurde der Papierwust auf einen Stapel gelegt und die Reise in den Fuchsbau ging weiter. Nach ein paar Metern merkte man am zunehmenden Desinfektionsmittelgeruch, daß es bald „losgehen“ würde. Die Nervosität hielt sich in Grenzen, Revolutionen ,Krawall oder brennende Reifenstapel mit Ernst-Thälmann-Figuranten waren eben von über 80jährigen und dem Personal des Gesundheitssystems nicht zu erwarten. Schließlich hattten alle in dem Papierberg irgendwo angekreuzt: „Ich bin mit der Impfung einverstanden“ – wobei ein genialer Bürokrat auch das Feld „Ich bin mit der Impfung nicht einverstanden“ eingeschmuggelt hatte – wohl um zu testen, ob man lesen kann oder einfach nur durchkreuzt.

Die Bundeswehr hilft – die Stadt spart

Vereinzelt liefen – natürlich unbewaffnete! – Bundeswehrsoldaten in Uniform durch’s Blickfeld, trugen Papiere, medizinische Sachen oder einfach nur die Verantwortung. Zivildienstleistende in Uniform. Am Impfzentrum leisten auch Ärtzinnen und Ärzte der Bundeswehr in sogenannter „Amtshilfe“ ihren Dienst, übrigens kostenlos für die Stadt und damit kostengünstiger als die Ärzte, die auf der Impffreiwilligenliste stehen. Deren Umfang wollte mir die Stadt nicht verraten, weil about.koeln kein „journalistisch-redaktionelles Angebot“ sei. Nun ja, inzwischen kann ich berichten, daß diese Liste auch nicht von der Stadt geführt wird, sondern von der kassenärztlichen Vereinigung (KV) und daß sie tausende von Namen enthält, von denen die meisten wahrscheinlich nicht zum Zuge kommen werden. Warum da seinerzeit der beruflich völlig unerfahrene Karl Lauterbach in Frage kommen sollte – man kann es nur vermuten, je nachdem welche Einstellung man zu ihm hat.

Nach kurzer Wartezeit durften die Impflinge dann in Kabinen, wo sie in der halben Zeit, die die Bürokratie in Anspruch genommen hatten, nach ein paar schnellen Fragen (die man auch schon irgendwo auf den 15 Seiten beantwortet hatte) schnell geimpft wurde. Dabei waren nach meiner Einschätzung Profis am Werk, keine Inszenierung, wie sie für Frau Reker und die DuMont-Presse veranstaltet wurde. Einen Teil der Unterlagen bekam der Impfling zurück, einen neuen Klebi im Impfpass auch und anschließend durfte er oder sie sich in der dritten Wartezone entspannen und auf unmittelbare Impfreaktionen warten. Bis auf die äußeren Umstände ein ganz normaler Vorgang, wie er hundertausendfach in Arztpraxen stattfindet. Ich habe keine Notfälle erlebt, keine Schmerzensschreie, keine Kinder, die ihren Müttern aus den Händen gerissen wurden. In den „Abklingzonen“ fanden sich sowohl AstraZeneca als auch BioNTech-Impflinge. Keiner wurde ohnmächtig. Den Impfgegnern kann ich nichts anderes berichten. Ich habe nur Freiwillige angetroffen, die auch den Eindruck machten, den jeder Wähler an einem Sonntag im Wahllokal macht. Als Kind wurde ich noch in einer Porzer Schule in Reihenimpfungen gegen Pocken geimpft, da war natürlich mehr Unruhe. Mit der damaligen Vorgehensweise könnte man vielleicht die erwünschten Impfquoten auch erreichen. Israel mach es so ähnlich.

Seine Heiligkeit, die Sachbearbeitung

Aber nicht mit solchem „Papierkram“. Es wurde deutlich, daß hier vor allem eine deutsche Kernkompetenz herrschte: Viel Papier, wenig Aktion. Damit der ganze Wust auch noch den Anstrich des modern-digitalen bekam, prangte vorne ein riesiger QR-Code auf dem Blatt, der keine große Bewandnis hatte -siehe oben. Man kann wohl keinem über 80jährigen Menschen zumuten, sich durch einen digitalen Arbeitsablauf zu klicken, damit man am Ende nur ein einzelnes Blatt mit einem Barcode mitzubringen braucht, das direkt zur schnellen Impfung führt, aber nach dem Erleben des Ablaufs wundern die bescheidenen Impfraten in Deutschland nicht. Es liegt nicht am Impfstoff, es liegt an der Bürokratie, einem Papierwust und archaischer Verwaltung. Man hätte durchaus ein schnelles volldigitales „Fastlane“-Verfahren anbieten können und ein betreutes Standardverfahren mit dem halben abgeholzten Amazonas. Die Stories um „Eventim“ und die Unterstützung bei den Impftickets kann man fast als (traurige) Ente bezeichnen. Der Einlass in ein Stadion geht einschließlich Kontrolle, Wurst und einem Bier doppelt so schnell. Vielleicht sollte man den FC das Impfen überlassen.

Leider fehlen mir Zahlen aus den Impfzentren. die Stadt twittert lediglich sporadisch die Anzahl der Impftermine, verschweigt aber die Anzahl der Absagen und „no-shows“. Klassische Propaganda könnte man das nennen, jedenfalls ist es weit von amtlichen Bekanntmachungen entfernt. Wer aus ethisch vertretbaren Impfungen ein Geheimnis macht, dem ist auch zuzutrauen, hier und da die Zahlen „zu biegen“. Das Presseamt baut sich da eine hausgemachte Glaubhaftigkeitskrise in „Newsroom“-Mentalität auf. Heute, am 12.03.2021, twitterte man zum ersten Mal die Zahlen des Impfzentrums – am Tag, nachdem ich beim Presseamt deswegen nachgefragt hatte und keine Antwort erhielt, weil about.koeln angeblich kein „journalistisch-redaktionelles Angebot“ sei. Ein merkwürdiger Zufall.

Das Impfzentrum – es ist ja nur eines ! –  öffnete am 08. Februar 2021. Seitdem sind 28 Impftage vergangen, trotz vorgeblich höchster Dringlichkeit kann man sich zum Impfen am Sonntag nicht durchringen. Rechnet man diese nun öffentliche Zahl nach (53122 Impfungen in 28 Tagen), dann kommt man auf 1897 Impfungen am Tag. Bei dem Tempo braucht man ziemlich genau 1,73 Jahre zum Impfen aller Kölner. Am Donnerstag twitterte man dann erstmals eine Terminzahl (!) von 2800. Das weicht aufallend vom errechneten Wert ab. Aber auch diese Frage nach den tatsächlichen durchgeführten Impfungen erklärte der ansonsten so eifrige „Newsroom“ nicht und mir ist durchaus bekannt, daß man schon mal „doppelte Schlagzahl“ bei der Stadt fahren muss, um einen bevorstehenden Pressetermin „vorzubereiten“. Ein „Newsroom“ ist übrigens die „aktive Variante“ eines Presseamtes. Die meisten Journalistenverbände sehen darin den Versuch der Einflußnahme auf die Berichterstattung. Früher nannte man sowas Propaganda, für viele ist es allerdings inzwischen der „easy way“: billiger als DPA, Copy&Paste, eigene Zählmarke von der VG Wort rein und schon kann man sich wieder gehackt legen.

Mir erschien für eine Zahl von 2800 Impflingen der Betrieb an meinen „Besuchstag“ jedenfalls mäßig glaubhaft, selbst 1900 wären grenzwertig gewesen, aber dazu kann ich nur mein Bauchgefühl bemühen. Zahlen und Umstände, die die Stadt Köln nicht bestätigen möchte und damit vorsätzlich meine journalistische Sorgfaltspflicht unterläuft. Es wäre aber auch kein großes Wunder, wenn man eigens für diese Meldung „ordentlich Gas gegeben“ hat. So wie das schon mal bei den Erfassungsrückständen bei Corona-Infinzierten im Gesundheitsamt geschah, als Frau Reker eine Pressekonferenz geben wollte, um zu verkünden, daß man auf dem Stand sei und alles im Griff hatte – und bis dahin musste eben auch alles weggearbeitet sein.

Der größte Anteil am Durchsatzproblem hat die Bürokratie. Man hat es in diesem Jahr der Epidemie nur geschafft, einen möglichst aufwendigen Vorgang zu schaffen, der einfach zuviel Zeit kostet, man hat Bürokraten mit Abläufen beauftragt, die sie nur bürokratisch regeln können. Skalierbar wären solche Abläufe nur durch noch mehr Einsatz von Bürokräften. Diese Stadt gibt Millionen für Berater aus, aber bei den Impfzentren versagt der administrative Teil wieder nach guter deutscher Art. Schön, daß es zumindest im medizinischen gut lief.(mj)

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Die 1164 nach Köln gebrachten Gebeine der Heiligen Drei Könige im Dom würden heute als Raubkunst gelten. Sie wurden dem Eroberer von Mailand Friedrich Barbarosse dem treuen Rainald von Dassel als Hehlerware geschenkt.