20. April 2024, 7:09 Uhr

Was läuft da in Kölner OPs ?

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Corona ist für alle vor allem eines: eine emotionale Krise und das erste, was in solchen Krisen über Bord geht, ist die
Verhältnismäßigkeit, dann folgt der Anstand. Am 10.03. veröffentlichte der Kölner „EXPRESS“ einen emotionalen Aufruf, doch dringend jemanden
impfen zu lassen, im Namen der Vernunft, der Sicherheit, der Solidarität. Es ging um „Holmer Bruhn“ (53) nach dessen Aussage im
ganzen Rheinland keine Operation denkbar wäre. Hier ist die wahre Geschichte.

Der Artikel, den ich hier ausnahmsweise mal verlinke, ist bester Boulevardstil. Kurze Sätze, einprägsame Behauptungen, wenig
Wahrheitsgehalt. Der gezeigte Medizinprodukteratgeber „Holmer Bruhn“ beklagt sich darüber, daß er keinen Impftermin gegen Corona bekäme,
obwohl er „täglich mehrere Operationen begleite“. Der „Express“ fasst das für seine eiligen Leser so zusammen:

Quelle: Screenshot „EXPRESS“

Beim Gebrauch von bestimmten Begriffen werde ich immer aufmerksam, weil inzwischen jeder Volksschüler und Vordiplomand damit um sich wirft. „Causa“, „Vakzin“ und in diesem Fall „vulnerabel“. Der große Schein der Bildung. Aber auch die geschilderte Story wirft Fragen auf:

WAS macht der Herr „Bruhn“ da in Kölner Operationssälen ?

„Denn der Techniker ist für die Wartung der medizinischen Geräte zuständig, reicht Instrumente an und ist somit ein fester Bestandteil des medizinischen Ablaufs bei Operationen im ganzen Rheinland.“

und

„Auch das gesamte OP-Team ist mit uns im regelmäßigen Kontakt. Wir nehmen oft mehrere OP-Termine am Tag in unterschiedlichen Kliniken in Köln und Umgebung wahr“, so Bruhn über seine Tätigkeit.“

„Express“ online vom 10.03.21

Ohne den Herrn „Bruhn“ scheint keine Operation mehr möglich. Der Herr „Bruhn“ ist der Dieter Bürgi der Medizintechnik. Er liefert dem „Express“ auch direkt die entsprechenden Bilder: „Herr Bruhn“ mit Sichtschild und Maske vor einem Operationssaal, der gerade aufgeräumt oder vorbereitet wird. Es könnte auch Frau Meier sein, erkennen kann man „Herrn Bruhn“ nicht. Schaut man genau hin, ist es ein geschicktes Bildarrangement, zwei Bilder an den richtigen Stellen zusammengeflickt.  Äußerst dubioser Journalismus des „Express“.
Und auch inhaltlich weit gefehlt. Einfach ausgedrückt ist ein Medizinprodukteberater ein Pharmavertreter, aber nicht für Medikamente, sondern für medizinische Geräte. Seine Tätigkeit ist im Medizinproduktegesetz geregelt – und er hat schlicht bei Operationen nichts zu suchen. Wenn das stimmen würde, was der „Express“ da berichtet, dann wären das sehr merkwürdige Zustände in rheinischen Kliniken, von denen die wenigsten Patienten etwas wissen dürften.

Aber „Bruhn“ kann noch mehr und wird gar bedrohlich:

„Je länger sich das jetzt noch hinzieht und ich keinen Impftermin bekomme, desto mehr Angst hat man, irgendwann zum Superspreader zu werden, da der Kontakt zu mehreren Hundert Menschen im Klinikbereich schlichtweg zum Berufsalltag gehört“

Den Herrn „Bruhn“ muss also jeder kennen, ohne Herrn „Bruhn“ läuft in Köln gar nichts? Als er dann noch behauptet:

Nur in Köln gibt es dieses Problem

fragte ich bei den Kliniken der Stadt Köln nach und die antworteten auch in dem Sinn, den ein vernunftbegabter Mensch erwarten konnte: solche Personen sind bei Operationen nicht anwesend, reichen keine Instrumente und warten die Maschinen auch nicht während der Operationen. Sigrid Krebs von den Kölner Kliniken stellt fest:

„Bei den Kliniken der Stadt Köln werden in seltensten Einzelfällen Medizintechniker von Medizintechnik-Unternehmen organisatorisch oder beratend im Vorfeld einer Operation, beispielweise bei einer OP-Planung, die den Einsatz neuer, erstmalig eingesetzter kochkomplexer OP-Gerätetechnik benötigt. „

und weiter:

„Der berufliche Werdegang des Protagonisten, der im EXPRESS-Beitrag vorgestellt wird, ist uns nicht bekannt. Bei den Kliniken Köln werden für die perioperative Begleitung ausschließlich speziell ausgebildete operationstechnische Assistent*innen eingesetzt.“

Auch wenn diese Aussage nur für die drei städtischen Kliniken Merheim, Holweide und das Kinderkrankenhaus Amsterdamer Strasse gelten, so sind sie doch professionelle Standards. Ein Medizinprodukteberater verfügt nicht uber die Ausbildung, bei einer Operation zu assistieren und ein OP-Saal ist kein Bahnhof, weder bei den städtischen Kliniken noch bei den rund 20 anderen Krankenhäusern, die in anderer Trägerschaft tätig sind.

Bei den Kliniken der Stadt Köln sind die Verhältnisse also professionell und weit von dem entfernt, was der Herr „Bruhn“ da so schildert. Der „Express“ ist ohne sorgfältige Prüfung einem – entschuldigen Sie das Wortspiel – Aufschneider auf den Leim gegangen, der sich beim Impfen vordrängeln möchte. Die von seinem „Berufsverband“ zitierte „Notwendigkeit“ findet sich zur Zeit bei so ziemlich jeder Berufsgruppe.

Das ist besonders pikant, weil das Presseamt der Stadt Köln mir mein presserechtliches Auskunftsrecht verweigert, weil man about.koeln nicht für ein „journalistisch-redaktionelles Angebot“ hält. Ob dieser Maßstab auch an die schlampigen Kollegen vom „Express“ der Ehrenbürgerfamilie DuMont angelegt wird ? Mit Sicherheit nicht.

Ohne die Stellungnahme der städtischen Kliniken hätte ich dort einen Skandal vermutet, den es aber gar nicht gab. Da ich die gleichen Fragen an das Presseamt der Stadt Köln gerichtet habe, ohne Antwort zu bekommen, ließ man also fahrlässig zu, dass dieses Bild von Zuständen in Kölner Kliniken verbreitet wird – fake news on demand?

Der Paukenschlag kommt aber zum Schluß:

„Die Stadt Köln will den Fall nach erneuter EXPRESS-Nachfrage noch einmal überprüfen.“

Die Lokalpresse nimmt mit diesem äußerst schludrig recherchierten Artikels Einfluß auf die Impfpriorität der Stadt. Diese möchte das Impfbegehr des Herrn Bruhn  noch mal prüfen. Was nichts anderes heißen wird, daß man dem Prahlhans zur Wahrung der Ruhe seinen Willen gibt, weil der Oberbürgermeisterin „schlechte Presse“ sehr unangenehm ist. Aber – wie einleitend geschrieben – ist inzwischen der Anstand längst über Bord gegangen. In diesem Fall hat sich die Stadt nichts vorzuwerfen, das geht allein auf die „Kappe“ des Revolverblatts aus der Amsterdamer Strasse. Die Stadt sollte sich selbigen nicht auf die Brust setzen lassen, es geht auch ohne den Herrn „Bruhn“.(mj)

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Nach der Rückabwicklung der Eingemeindung von Wesseling 1976 brauchte Köln 34 Jahre, um sich 2010 wieder „Millionenstadt“ nennen zu dürfen.